Die schwere Ausprägung meiner Krankheit ME/CFS, die ich aus heutiger Sicht in milder Form schon seit einer Infektion mit dem Pfeifferschen Drüsenfieber 1978 hatte, dauert nun schon seit 2020 an. Seitdem lebe ich zwischen über 23 (in schlechteren Phasen) und 20, manchmal nur 19 (in besseren Zeiten) Stunden im Bett liegend und bin auf umfassende Unterstützung angewiesen, an jedem einzelnen Tag. Alles, was hier in den letzten Jahren von mir hier gelesen werden konnte, ist also liegend entstanden.
Immer hoffte ich, dies sei ein vorübergehender Zustand - aber nach über vier Jahren sehe ich, dass das Kranksein zu meinem Leben gehört und ich deshalb sichtbarer damit umgehen möchte. Sichtbarkeit dieser sehr speziellen Krankheit tut Not aus mehreren Gründen.
Durch diese Krankheit bin ich Teil einer riesigen Community von Mitbetroffenen geworden, vor allem in mehreren Facebook-Gruppen mit jeweils mehreren Tausend Mitgliedern. Schätzungen sprechen von 250.000 Erkrankten allein in Deutschland vor der Pandemie, inzwischen ist es Konsens, eine Verdoppelung dieser Zahl vor allem durch Post bzw. Long Covid, aber auch durch Post Vac anzunehmen. Es ist also keine seltene Krankheit, sondern verbreiteter als z.B. MS, wobei es für MS flächendeckend Versorgungstrukturen und Kompetenzzentren gibt, die für uns fast komplett fehlen und das, obwohl ME/CFS bereits 1969 in der internationalen Klassifikation der Diagnosen eine eigene Ziffer erhalten hat: G93.3.
Zu den vielen teils sehr quälenden Symptomen der Krankheit selbst (nein, wir sind nicht nur müde und die Krankheit ist nicht psychisch bedingt) kommt für uns alle das unvorstellbare Unwissen der Ärzteschaft und sämtlicher Akteur*innen im Gesundheitssystem. Für uns alle, sogar bei Post Covid, vergeht viel zu viel Zeit bis zu einer sicheren Diagnosestellung. Viele - nein, die meisten Ärzte stellen Fehldiagnosen, die zu Fehlbehandlungen führen, von denen unsere Krankheit sich verschlimmert und wir arbeitsunfähig, häufig auch pflegebedürftig werden - nicht, weil es noch keine heilende Therapie gibt, sondern weil wir viel zu spät vom Konzept des Pacing (s.u.) erfahren, das relativ zuverlässig vor Verschlimmerungen schützt. Wenn wir davon endlich erfahren, dann eher durch Mitbetroffene, durch eigene Recherchen, aber eher nicht von Mediziner*innen. Oft sind wir dann nicht mehr mild oder moderat erkrankt, sondern schwer wie ich selbst. Denn unser Zustand wird schlechter, je mehr wir uns anstrengen! Post Exertional Malaise (PEM, s.u.) bzw. Belastungsintoleranz ist das Leitsymptom.
Das Leid der Mitbetroffenen ist erschütternd. Immer noch - auch wenn seit Post und Long Covid die Erkrankung viel stärker ins öffentliche Bewusstsein gerückt ist und unzählige Artikel und Fernsehbeiträge erschienen sind - immer noch lese ich täglich von Schicksalen, die mich sprachlos machen. Sprachlos vor Entsetzen, Traurigkeit und Mitgefühl, aber auch von einem wachsenden Zorn. Wie ist es möglich, dass mitten in Deutschland so viele Menschen - darunter viele sehr junge - dermaßen allein gelassen, stigmatisiert und in elendigste Verhältnisse geschickt werden?
Diese Krankheit ist tatsächlich schwer zu fassen und schwer zu verstehen, weil sie in vielerlei Hinsicht anders tickt als alle anderen bekannten Krankheiten. Was anderswo hilft, schadet hier sehr häufig. Außerdem macht diese Krankheit, da bisher weltweit keine heilenden Behandlungen gefunden werden konnten, extrem hilflos - die Kranken selbst, die eigentlich Zuständigen in Gesundheits- und Sozialsystemen und auch in großem Maße die Menschen im Umfeld der Erkrankten, Angehörige, Freunde, Bekannte, Kollegen.
Ich habe mir vorgenommen, etwas, und sei es noch so wenig, zur Linderung dieser vielschichtigen Miseren beizutragen. So möchte ich hier auf meiner Webseite nach und nach informierende links und persönliche Texte - nicht nur von mir - veröffentlichen.
Deutsche Gesellschaft für ME/CFS - ein kleine Auswahl, eigenes Stöbern lohnt sich:
Startseite
Neue Informationsblätter
Zu den Entwicklungen der letzten Jahrzehnte
Warnung vor Fehldiagnosen
Einer der größten Medizinskandale
PEM und Pacing einfach erklärt in Videos
Schicksale von Erwachsenen im Video, dazu ein weiteres mit Q&A
Über die Lage bei Kindern und Jugendlichen im Video
Ein Text von mir: nicht wieder gesund
Ein Text von Judith de Gavarelli (herzlichen Dank, liebe Judith!) über Crash bzw. PEM: Elementargewalten
Neu am 12.5.24, dem Internationalen ME/CFS Awareness Day:
Einer der bisher besten Artikel über das Leben mit der Krankheit von der selbst betroffenen Journalistin Jana Petersen erschien am 10.5.24 in der ZEIT online.
Tatsächlich wird - sogar im nicht gerade innovationsfreundlichen Deutschland - zur Entwicklung eines heilenden Medikamentes geforscht und gerade ein Start Up dazu gegründet: Mitodicure.
Neu am 23.9.24:
Ausgerechnet das Team einer Satiresendung bringt unsere Situation bestens recherchiert auf den Punkt - ein Fest für uns Betroffene!
Hoffnung mit Forschung und Vernetzung von Wissenschaftlern machten zwei hervorragende Fachtagungen mit internationalen Vortragenden. Hier zeigt sich die Komplexität dieser Erkrankung ist und wie differenziert sie untersucht werden muss.
Die Konferenz Unite to fight wurde von Betroffenen nach einem Todesfall organisiert, konnte per Livestream verfolgt werden, anschließend wurden alle Vorträge auf youtube veröffentlicht. Einen Fokus auf das Leitsymptom PEM gelegt wurde auf der diesjährigen Fachtagung des Fatigatio, auch hier stehen die Vortragsvideos bereits zur Verfügung, ebenso eine Zusammenfassung der forschungsorientierten Vorträge in einer pdf.